Jetzt wo du dich bis hier her durchgearbeitet hast, will ich mal ganz persönlich werden. 42 Jahre meines Lebens sind um. Vielleicht bin ich in der Mitte meines Lebens angekommen. Vielleicht auch schon ganz nahe am Ende. Meine Todeslinie kreuzt nicht irgendwann meine Lebenslinie. Sie läuft ständig parallel zu ihr. Wann die Kreuzung kommt, kann niemand wissen. In diesem letzten Abschnitt will ich dich in meine persönliche Geschichte mitnehmen. Manche Zeiten meines Lebens waren so spannend, dass ich Bücher darüber geschrieben habe. Doch die meiste Zeit war mein Leben wohl eher banal. Viele Jahre lassen sich in wenigen Worten zusammenfassen. Vielleicht kommt dir das bekannt vor. Trotzdem waren auch diese Jahre wichtig. Sie haben das Fundament gelegt für das, was ich heute bin und tue.


Wo ich herkomme

Meine Lebensreise begann am 19. Januar 1983 in einer Kleinstadt in Süddeutschland. An die ersten Jahre kann ich mich natürlich nicht erinnern. Was ich sehr wohl noch weiß, ist, dass ich als Kind eigentlich ständig Angst hatte. Ich traute mich fast nichts. Als früher Teenager wollte ich Schreiner werden, dann Pilot, dann Informatiker. Am Schluss wurde ich Arzt. Heute weiß ich, dass Gott mich auch in jedem anderen Beruf hätte gebrauchen können. Aber ich sollte Arzt werden, und das bin ich seit 2010 mit Leidenschaft und Hingabe. 

Eine Woche nach ihrem Abitur heirateten Lena und ich. Wir wurden in derselben Kirchengemeinde groß. Aus einer Sandkastenliebe wurde eine frühe Ehe. Wir hatten schon immer gemeinsame Pläne. Wir wollten beide Familie. Sie eine Größere als ich. Und wir wollten schon immer etwas mit unserem Leben anfangen. Dabei ist der christliche Glaube das, was unserer Beziehung ein gemeinsames Fundament gibt. 2015 kauften wir ein großes Haus. Ein ganzes Jahr renovierten wir es. In diesem Jahr machte ich meine Facharztprüfung, sechs Monate Intensivstation, renovierte das Haus und Lena bekam ein viertes Kind. Als Team meisterten wir jede Herausforderung. Dieses Jahr zeigte uns manche Limits. Aber wir ignorierten sie. Gemeinsam schafften wir alles. Im April 2016 begann unser großer Familientraum. Wir bezogen endlich unser Eigenheim. Alles war wunderschön renoviert und stilvoll eingerichtet. Wir hatten eine bezaubernde Aussicht. Einen eigenen Spielplatz vor dem Haus. Einen Pool im Garten. Es war traumhaft. 


Was hast du erreicht?

„Was du schon alles erreicht hast.“ Diese Aussage hörte ich immer wieder. Für mich hatte sie keine Bedeutung. Irgendwie gab es immer etwas Neues. Für mich war Arztsein eine Berufung. Hier fand ich meine Erfüllung. Die Klinik hatte ich früh verlassen. Ich machte hausärztliche Notdienste und war später Teilhaber einer Gemeinschaftspraxis. In acht Jahren hatte ich zweimal mein Gehalt verdoppelt. Und kurze Zeit darauf lebte ich mein berufliches Abenteuer aus: Ich war Notarzt. Krankheitstage gab es nicht. Ich ging freiwillig zur Arbeit. 100 Stunden in der Woche waren kein Problem. Ich hatte mir meinen beruflichen Traum erfüllt und ging darin voll auf. 

Privat lief es genauso gut. Wir liebten uns. Viele Stürme und so manchen Tornado hatten wir in zwölf Ehejahren gemeinsam durchgemacht. Das einzige, was noch fehlte, war ein fünftes Kind. Am 6. März 2018 sollte es so weit sein. Ein Tag, der unser Leben für immer veränderte. Aber dazu später. 


Ist das alles?

„Wenn ich eines Tages alle Schäfchen im Trockenen habe, werden wir nach Papua Neuguinea gehen.“, das sagte ich eines Tages meiner Frau. Ich hatte eine Reportage über dieses Land gesehen. Ein Teil dieser Inselgruppe war früher deutsche Kolonie gewesen. Und dort werden deutsche Tugenden noch immer gelebt. Deshalb interessierte es mich. 

Doch mal im Ernst. Wann hat man denn alle Schäfchen im Trockenen? Wenn das Haus abgezahlt ist? Wenn die Kinder aus dem Haus sind? Wenn man den ersten Herzinfarkt überlebt hat? Ich machte mir darüber gar keine Gedanken. Irgendwann wenn ich 50 wäre oder so. Aber jetzt war erst einmal die Zeit gekommen, meinen Traum von einem bequemen Leben zu verwirklichen. 

Meine Frau Lena fühlte anders. Die Lebensziele der 19-jährigen Abiturientin hatten sich alle erfüllt. Eigenheim, VW Bus, Freundinnen, Kinder, Ehemann und dazu noch ein Arzt. Immer wieder hörte ich von ihr: „Soll das jetzt alles gewesen sein? Nicht das es nicht schön ist. Aber ich bin Anfang dreißig und hab alles erreicht.“ Unser Leben schien für die nächsten Jahrzehnte völlig berechenbar. Die Kinder würden größer werden. Auf den unterschiedlichen Gymnasien würden sie ihr Abitur machen. Ihnen stünden alle Türen offen. Finanzielle Sorgen würden sie nicht kennen. Sozialer Status inklusive.


Es gibt mehr!

Mitte April 2017. Wir wohnten nun fast ein Jahr in unserem Eigenheim. An diesem Abend saßen wir bei Freunden auf der Couch. Marc erzählte mir, dass ein Arzt aus Peru nach Aglasterhausen kommen würde. Seine Frau und er hatten in den Anden ein Krankenhaus für die Quechua gebaut. Die Geschichte sei so beeindruckend. Ich sollte mir das unbedingt mal anhören. Mein innerlicher Impuls war „Nein.“ Mich interessierte nicht das Leid dieser Welt. Meiner Familie und mir ging es gut. Und ich wollte daran auch nichts ändern. Aber meine Frau wollte hin. Die Babysitterin hatte auch kurzfristig Zeit. Und so kam es, dass wir mit wenig Verspätung im Nachbarort Aglasterhausen eintrafen. Die gesamte Festhalle war zu meiner Überraschung bis auf den letzten Platz besetzt. Nur in der ersten Reihe war noch ein Stuhl frei. Ich setzte mich, ohne zu wissen, dass der Mann neben mir der Hauptsprecher war. In der folgenden Stunde erzählte Klaus-Dieter John davon, welche Geschichte Gott mit Diospi Suyana geschrieben hatte. Diese Stunde war voll von Begegnungen, die einfach unglaublich waren. Dieser Vortrag entfachte ein Feuer in meinem Herzen. Ich spürte: „Es gibt mehr!“ 

Nach seinem Vortrag kam Klaus-Dieter John vom Podium herunter. Kurzer Smalltalk. „Herr John ich bin begeistert, was sie da leisten, ich bin auch Arzt, Urologe.“ 

Er brauchte mich nicht, denn sie hatten schon seit Jahren einen Urologen. Und ich war darüber auch nicht traurig. Mein Leben hatte eine ganz andere Richtung eingeschlagen. Ich wollte hierbleiben. An diesem Abend fuhr ich zurück nach Mosbach. Klaus-Dieter John flog wenig später zurück nach Peru. Mit im Gepäck hatte er einen kleinen Zettel mit meinem Namen und meiner E-Mail-Adresse. „Für alle Fälle.“, wie er meinte. 


Es ändert sich alles

Zehn Monate lang ging unser Leben ganz normal weiter. Ich fuhr als Notarzt und hatte meine Praxis. Lena war mit unserem fünften Kind schwanger. Bis zum 6. März 2018. Kurz nach Mitternacht erblickte Jonas das Licht der Welt und machte unsere Familie komplett. Dieser Moment war bezaubernd schön. Es würde das letzte Mal sein, dass ich ein eigenes neugeborenes Kind auf meiner Brust liegen hätte. Ich versuchte, diesen Moment mit allen Sinnen aufzusaugen.

Eine Stunde später verließ ich den Kreißsaal. Ich tat das, was ich nach jeder Geburt getan hatte. Oberhalb von Mosbach steht ein altes Holzkreuz. Dort fuhr ich hin und kniete mich in den Straßengraben. Es war eine kalte Märznacht. Kurz nach halb zwei. Der Mond schien mir ins Genick. Ich betete: „Lieber Gott, danke, dass alles gutgegangen ist.“ Und dann passierte etwas, das mich selbst überraschte. Ich betete mit einem Mal: „Ich weiss, dass das Kapitel der Reproduktion für uns vorbei ist, bitte zeig mir, was das nächste Kapitel in unserer Familiengeschichte ist.“ Irgendwie war dieses Gebet von selbst entstanden. Verwirrt fuhr ich nach Hause, schlief kurz und holte gegen halb fünf Lena aus der Klinik ab. Es war eine ambulante Entbindung. 

Der Tag verlief ganz normal. Lena war mit den Kindern daheim. Ich kümmerte mich um die Erledigungen. Doch irgendwie ließ mir das Gebet keine Ruhe. Ich kam abends nach Hause. Jonas war eingeschlafen und Lena kam die Treppe herunter. Direkt an der Haustüre platzte es aus mir heraus. „Lena.“, sagte ich. „Ich war heute Nacht wieder an meinem Kreuz. Ich habe dort etwas ganz merkwürdiges gebetet: Bitte zeig mir was das nächste Kapitel in unserer Familiengeschichte ist.“

Lena stand wenige Stufen oberhalb auf der Treppe. Sie blickte mich an und sagte: „Hast du deine E-Mails heute schon durchgeschaut? Klaus John hat dir aus Peru geschrieben.“ 

In diesem Augenblick stand meine Welt still. Alles worauf ER wartete, war eine Antwort. „Bist du dabei? Ich habe etwas Neues vor. Bist du bereit, meinen Traum für dein Leben zu leben?“

Und wie bei unserem ersten Kuss vor vielen Jahren kam mir auch dieses Mal meine Frau zuvor. Sie hatte längst ihre Entscheidung getroffen und für mich die nächste Frage parat: „Wann geht es los?“

Seit diesem Moment im März 2018 hat sich das Meiste in unserem Leben verändert. Jede Entscheidung hat eine neue Zielkoordinate bekommen und für uns als Familie ist eine neue Zeitrechnung angebrochen.


Meine Mission

An diesem Abend entschlossen wir uns, diese Mission zu leben. Wir wussten nicht, was kommen würde. Und das war auch gut so. Aber uns war klar, dass sich alles ändern würde. Und das tat es dann auch. 

2019 setzten wir alles auf null. Wir verkauften unser Haus, lösten unseren Hausstand auf, verkauften die Autos und ich gab meinen Kassensitz als Urologe zurück. Wir hielten in ganz Deutschland Vorträge und bauten einen Spenderkreis auf. Die nächsten Jahre würde ich in den Bergen Perus als ehrenamtlicher Arzt arbeiten. Klaus-Dieter John hatte mir versprochen, dass es zwar viel Arbeit aber dafür kein Geld geben würde. Lena und die Kinder würden mit mir in einer dritten Weltregion leben. Wir würden in das Armenhaus Perus ziehen. Allein wegen der Überzeugung, dass Gott uns gerufen hatte. 

Am 14. Januar 2020 ging die Reise los. Ein weiterer Schritt auf unserer ganz persönlichen Mission. Heute weiß ich, dass Gott seinen Traum schon viele Jahre vorher in mein Herz gepflanzt und vorbereitet hatte. Meine Partnerwahl, meine Berufswahl, unsere Familie, ja sogar die Beziehungen zu Freunden und Patienten, meine Praxis, unser Haus. All das hatte er für diesen einen Moment vorbereitet. Nach über zwei Jahren in den Bergen Perus habe ich gelernt: Entscheidend ist nicht, was ich beruflich erreicht habe oder was ich besitze. Entscheidend ist, was ich bin. Ich bin ein Nachfolger von Jesus. Und ich bin seinem Ruf gehorsam. 

Eines Tages wird auch dieses Kapitel unserer Familiengeschichte zu Ende gehen. Und irgendwann wird das letzte Kapitel meiner Lebensgeschichte geschrieben sein. In der Einleitung meines Ewigkeitsbuches wünsche ich mir nur eine Widmung. Geschrieben von Jesus, unterschrieben in Rot. Die Worte: „Gut gemacht. Komm.“ Das ist meine Lebensvision, das ist mein übergeordnetes Ziel. Dafür lebe ich. 

Im nächsten Kapitel geht es um das wichtigste zum Schluss.
Der Link wurde kopiert!